24.01.2019, 22:48 Uhr

Die Mär vom bösen Borkenkäfer

Auch in Schutzgebieten finden derzeit landesweit Fichtenfällungen statt...

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Auch in Schutzgebieten wie bspw. im FFH- und Vogelschutzgebiet Wahner Heide finden derzeit, wie überall in NRW, Fichtenfällungen statt. Als Beweggrund wird häufig angeführt, in 2018 hätte es aufgrund der extremen Trockenheit eine massive "Borkenkäferkalamitat" gegeben. Und die gelte es für 2019 zu verhindern, indem möglichst alle vom Borkenkäfer befallenen Bäume entfernt werden.

Im Zeitalter der alternativen Fakten lohnt es sich mehr denn je, genauer hinzuschauen.

In der Tat geht es nur um die Fichte (Picea abies), den "Brotbaum" der Forstwirtschaft, auch in NRW. Dazu muss man allerdings wissen, dass sie bei uns erst im 19. Jahrhundert eingeführt und seitdem generalstabsmäßig angebaut wurde. Die Rheinländer nannten u.a. die Fichten "Pruußebööm" (also Preußenbäume), denn die zuvor unbekannten Bäume kamen erst mit den Preußen zu uns. Ihre natürliche Verbreitung beschränkt sich in Deutschland seit einigen 1000 Jahren auf Gebirge und einige hohe Mittelgebirge. Fichtenwälder gibt es in NRW nicht, nur Fichtenforstanlagen, die der Holzproduktion dienen. Daher ist es auch legitim, diese Forste abzuernten, spätestens wenn die Bäume ihre Hiebreife erreicht haben.  

Wegen ihrer fehlenden Anpassung an unser subatlantisches Klima machte schon früh der Spruch eines elsässischen Försters die Runde: "Die Zahl der Fichten in einem Revier verhält sich umgekehrt proportional zur Intelligenz des Revierförsters". Nun hat die extreme Trockenheit im Sommer 2018 diesen Holzproduktionsstätten nochmal zusätzlich zugesetzt. Die "angeschlagenen" Fichten wurden noch anfälliger gegenüber den auf sie spezialisierten Borkenkäferarten: den Buchdrucker (Ips typographus) und den Kupferstecher (Pityogenes chalcographus). Ein ganz natürlicher Vorgang, ausschließlich mit Vorteilen für die biologische Vielfalt: es entsteht ein großer Vorrat an stehendem und später liegendem Totholz, der in heutigen Forsten und Wirtschaftswäldern Mangelware ist - und dessen Mangel ein Teil des Phänomens ist, dass die biologische Vielfalt in unseren Tagen in einem nie gekannten Tempo schwindet. Und gleichzeitig erhalten die heimischen Arten den Lebensraum zurück, der ihnen genommen worden war.

So weit so gut. Wäre da nicht die starke Lobby aus Forstbesitzern und holzverarbeitender Industrie und ihr fehlendes Interesse, Fehler einzugestehen und daraus zu lernen. Denn man will auch zukünftig Nadelholzplantagen anlegen, zunehmend mit amerikanischen Baumarten wie Douglasie und Küstentanne. Da passt eine Umstellung auf naturnahe Waldwirtschaft mit standortheimischen Baumarten nicht ins Programm. Der Borkenkäfer als Übeltäter und die angeblich "katastrophale" Trockenheit schon viel besser.

Insbesondere die Rodung von vom Borkenkäfer besiedelten Fichtenforsten in Schutzgebieten ist höchst umstritten. Die Auffassung des Landes, diese falle unter die gute fachliche Praxis der Forstwirtschaft, ist zumindest im Falle von EU-Schutzgebieten juristisch nicht haltbar. Denn die toten oder dem Tode geweihten Bäume werden nicht aus Gründen der Verwertung entnommen. Und die Totholzentnahme stellt einen Eingriff in die Schutzgüter dar, der geeignet ist, den Erhaltungszustand zu verschlechtern. Hier hätte vorab eine FFH-Prüfung der Fichtenentnahmen stattfinden müssen. Die hat es aber in keinem Fall gegeben.